Die Bildungskampagne „Kinder beflügeln“ hat in Kooperation mit dem Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur LesArt ein interaktives Leseabenteuer vorbereitet. Ziel ist es, Kindern aus sozial benachteiligten Familien den Spaß an Büchern und Geschichten näherzubringen.
In der ehemaligen Wäscherei des Evangelischen Johannesstifts wuseln am 24. Januar 2025 mehr als ein Dutzend aufgeregte Erst- bis Drittklässler*innen der Peter-Härtling-Grundschule durcheinander, neugierig auf das, was sie erwartet. Heute Abend werden sie nicht nur ein Buch lesen, sondern es mit allen Sinnen erleben.
Spielerischer Einstieg
Die Literaturpädagogen Franziska Bauer und Lorenzo Pennacchietti eröffnen den Abend mit einem Spiel: Jedes Kind stellt pantomimisch eine Fähigkeit dar, auf die es stolz ist. Die Stimmung lockert sich, erste schüchterne Kinder fassen Mut. Dann hält Franziska das Buch „Lili“ des Autors Wen Dee Tan hoch. „Heute lernen wir Lili kennen,“ sagt sie und zeigt eine Illustration.
„Das Mädchen hat ja Feuerhaare!“, ruft die siebenjährige Sedra überrascht. Staunen mischt sich mit Neugier, und wenig später befinden sich die Kinder mitten in einem lebendigen Rollenspiel. Sie stellen sich breitbeinig hintereinander und bilden einen Tunnel, durch den sich Lili mit ihrer feurigen Haarpracht schlängelt. Jeder darf dafür einmal Lili sein und sich eine rote Perücke aufsetzen. Und jedes Mal, wenn Lili jemanden berührt, gibt es laute Rufe: „Autsch, sie hat mich verbrannt!“, „Meine Hose brennt!“. Zum Glück ist Franziska mit einer Wasserspritze zur Stelle, um die kleinen „Brände“ zu löschen.
Lili und die Herausforderung des Andersseins
In Kleingruppen spielen die Kinder verschiedene Szenen aus dem Buch nach. Lili, die beim Seilspringen das Seil ansengt. Lili, an der sich beim Bockspringen versehentlich die Dorfkinder verbrennen. „Das macht gar keinen Spaß mit dir zu spielen, geh weg!“, rufen einige und vertreiben sie – wie in der Geschichte.
Bei den Schüler*innen wächst das Mitgefühl für Lili. Nach den Aufführungen diskutieren sie: Was hätte man tun können, um Lili besser zu integrieren? Gemeinsam suchen die Kinder nach Lösungen und begreifen, dass Anderssein oft schwierig ist, aber auch eine Stärke sein kann.
Nachdenken in der Nacht
Fast am Ende der Geschichte angelangt, wird es noch einmal spannend. Einige der Kinder aus Lilis Dorf verirren sich im dunklen Wald. Doch wie das ausgeht, bleibt vorerst ein Geheimnis. „Lasst die Geschichte in euch wirken, denkt darüber nach,“ ermuntert Franziska die Kinder. „Die Auflösung gibt es morgen.“
Bevor sich alle in ihre Schlafsäcke kuscheln – die Schüler*innen und Lehrerinnen übernachten gemeinsam auf dem Gelände des Evangelischen Johannesstifts – versammelt sich die Gruppe um eine Feuerschale. Im flackernden Licht liest Franziska aus dem Buch „Von der Fee, die Feuer speien konnte“ von Franz Fühmann. Lorenzo Pennacchietti schlüpft mit voller Körperspannung in die Rolle des Winterkönigs und raubt den Kindern mit seiner tiefen, eindringlichen Stimme den Atem. Danach gibt es Marshmallows – noch ahnt niemand, dass dies eine Anspielung auf das geheime Ende von „Lili“ ist.
Ein Aha-Moment am Morgen
Am nächsten Morgen erfahren die Schüler*innen endlich die Auflösung: Lili lernt, ihre besondere Fähigkeit für das Gute einzusetzen. Nachdem sich einige Kinder im Wald verlaufen haben, nutzt sie ihr leuchtendes Haar, um ihnen den Weg zu weisen. Sie schützt sie sogar vor wilden Tieren.
„Wir möchten bei Kindern die Lust am Lesen wecken“, erklärt Franziska Bauer später. „Wir tauchen mit ihnen in ein Buch ein und zeigen, dass Geschichten nicht nur gelesen, sondern auch gespielt, gefühlt und erlebt werden können.“ Viele Kinder trauten sich an diesem Abend mehr zu als sonst. „Hier gibt es kein richtig oder falsch, nur Neugier und Kreativität,“ fügt sie hinzu.
Das Projekt „Leseabenteuer“ der Kampagne „Kinder beflügeln“ des Evangelischen Johannesstifts und der Johannesstift Diakonie und LesArt hat an diesem Abend gezeigt: Wenn Bücher lebendig werden, fördern sie nicht nur die Lesefreude, sondern auch Empathie und Kreativität der Kinder.
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