Der Medizin-Ethiker Prof. Dr. med. Giovanni Maio M.A. phil; Direktor des Instituts und Lehrstuhls für Ethik und Geschichte der Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, war unlängst Ehrengast im Evangelischen Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Wittenberg. Gemeinsam mit den Ärztinnen und Ärzten besprach er, wie es gelingen könne, mit der Medizin die Wissenschaft und die Zwischenmenschlichkeit zu verknüpfen.
Wittenberg. Jede Woche Mittwoch von 7:30 Uhr bis 8:00 Uhr treffen sich die ärztlichen Kolleg*innen im Paul Gerhardt Stift zur Fortbildungsreihe „Der Klinikarzt – die Klinikärztin“. Hier wird das umfangreiche Spektrum der Medizin kompakt in 30 Minuten erläutert, besprochen und diskutiert. In der nun schon 100. Veranstaltung wurde ein ganz besonderer Gast begrüßt: Prof. Dr. Maio, der wohl renommierteste Medizin Ethiker in ganz Deutschland.
„Medizin ist keine parteilose Dienstleistung”
Er verdeutlichte in seinem Referat, dass Medizin mehr sei als das Behandeln von Krankheitsbildern: „Medizin ist immer auch eine anspruchsvolle soziale Tätigkeit, und keine parteilose und anteilnahmslose Dienstleistung.“ Die ärztliche Kunst bestehe darin, den Einzelfall verlässlich zu beurteilen – und für jede*n Patient*in eine individuelle Lösung zu finden. Zwischen Diagnose und Therapie sei jedoch vor allem das Gespräch und die Interaktion mit dem*der Patient*in von enormer Bedeutung: „Anders als bei einem Kunden, der selbst entscheiden kann, welche Art von Dienstleistung er in Anspruch nimmt, kann das ein*e Patient*in nicht. Fast immer ist eine Diagnose für ihn oder sie auch mit einer Lebenskrise verbunden – und unsere Patient*innen brauchen nun erst einmal Fürsorge. Erst diese Zwischenmenschlichkeit macht ein Vertrauensverhältnis möglich“, so Prof. Dr. Maio.
„Freundlichkeit dauert nicht länger als Unfreundlichkeit"
Wie aber lässt sich dieser Anspruch mit den politisch vorgegebenen Rahmenbedingungen oder dem deutschlandweit herrschenden Fachkräftemangel vereinbaren, wollten die Kolleg*innen aus dem Paul Gerhardt Stift ganz pragmatisch wissen. „Leider kennen die Politiker die ärztliche Realität nicht, die Einführung der Fallpauschalen war die falsche Wegweisung“, so Prof. Dr. Maio, der nochmals deutlich machte, dass Medizin viel mehr sein müsse als Standards und Dokumentation. Auch die aktuelle Krankenhausreform, die eine bessere Qualität für Patient*innen mit sich bringen soll, wird laut Prof. Dr. Maio diesem Anspruch nicht gerecht. „Genau dies muss kritisiert werden“, forderte er auf. Aber auch „im Kleinen“ könne man sich einbringen: „Freundlichkeit dauert nicht länger als Unfreundlichkeit. An dieser Haltung kann jeder selbst arbeiten – und in einer Einrichtung wie dieser hier haben Sie alle die Möglichkeit.“ Dass es im Paul Gerhardt Stift wöchentlich einen Austausch für Ärzt*innen sowie weitere Gremien wie das Ethik-Komitee gibt, lobte er ebenfalls.