ADHS
Mia: Sag mal, Tom, wie kommt es eigentlich, dass du immer so zappelig bist und fast nie länger als 10 Minuten bei einer Sache bleiben kannst?
Tom: Tja, Mia, das liegt daran, dass ich ADHS habe. Sagt meine Lehrerin.
Mia: Weißt du denn, was das bedeutet?
Tom: Papa sagt, ich soll mir merken: „Aufmerksam Die Halbe Stunde“. Ich glaube, das soll eine Störung sein. Aber ich fühle mich gar nicht gestört…
Mia: Nee, aber vielleicht fühlen sich welche durch dich gestört??? Immerhin ist das manchmal ganz schön anstrengend mit dir. Ich mag dich aber trotzdem! Und richtig heißt das „Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung“. Kann sich aber eh niemand merken.
Tom: Am schlimmsten ist wirklich, dass ich mich in der Schule nicht die ganze Stunde lang auf den Unterricht konzentrieren kann. Beim Zocken halte ich aber ziemlich lange durch!
Mia: Das liegt vielleicht daran, dass du so viele Sachen gleichzeitig bemerkst und dich um alles zur selben Zeit kümmern willst, Tom. Du bist so ein lieber Typ, dass du am liebsten immer für Alle da sein willst. Aber du kommst dabei selber gar nicht zur Ruhe!
Tom: Meinst du? Ich quatsche auch immer schnell dazwischen und kann es nicht abwarten, bis ich dran bin! Aber es stimmt, ich meine das überhaupt nicht böse. Manchmal schimpfen meine Eltern und meine Freunde trotzdem sehr mit mir und sind total genervt. Auch weil ich oft schusselig bin und hinfalle…
Mia: Ja, so schlimm unruhig bist du eigentlich gar nicht. Vielleicht hast du ja auch nur ADS, ohne „H“… Ich schimpfe jedenfalls nicht mit dir und werde auch nicht ungeduldig! Du bist ja mein bester Freund, du lustiger Taps-Tapir!
Tom: Danke, liebe Mia! Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich machen würde!
Mia: Naja, du könntest überlegen, ob du mit deinen Eltern mal zum Kinder- und Jugendpsychiater gehen willst oder zu einer Psychotherapie. Vielleicht fällt denen ja was ein, wie du dich besser konzentrieren kannst. Lass uns mal mit deinen Ellis drüber reden, okay?
Tom: Klar, wenn sie nicht gleich wieder meckern, weil ich alles sofort machen will…
Angst
Tom: Sag mal, Mia, warst du eigentlich schon immer so mutig wie jetzt? Manchmal bewundere ich dich, weil du dich so viel traust und alles ausprobieren willst!
Mia: Oh nee, Tom, früher war ich ein echtes Schisser-Mädchen. Wenn meine Geschwister ausfliegen wollten, musste ich erst ewig die Lage rund um unser Nest sondieren und hab immer gedacht, dass jetzt gleich die Katze mit ihren funkelnden grünen Augen am Baum lauert. Oder als ich den ersten Tag zum Kindergarten geflogen bin, habe ich mir ausgemalt, dass mich die anderen Piepvögel beim Spielen nicht dabei haben wollen. Dann wollte ich gar nicht mehr hingehen und hab mich zu Hause im Nest versteckt. Mein Herz hat immer wie wild gepocht, ich hab gezittert und hatte Schweißausbrüche! Mama hat gesagt, das ist fast schon Panik.
Tom: Wow! Das hätte ich nicht gedacht! Du bist doch jetzt soooo mutig, Mia!
Mia: Naja, das hat ganz schön lange gedauert. Erst war ich total verschüchtert und es wurde immer schlimmer. Frag deinen großen Bruder, der mich oft ausgelacht hat, weil er gemerkt hat, dass ich so viel Angst vor ihm hatte. Aber ich bin dann zur Therapie gegangen.
Tom: Was bedeutet „Therapie“? Davon reden irgendwie alle, aber ich hab kein‘ Plan, was das sein soll…
Mia: Früher war das auch was Besonderes. Meine Eltern dachten erst, das ist nur für verrückte Vögel. Aber ich konnte einfach nicht mehr, da sind wir zu dieser freundlichen Therapeutin gegangen, Frau Adler. Die hat erst viele Fragen gestellt und Tests mit mir gemacht, manche waren etwas langweilig. Aber dann haben wir immer mehr gespielt, zum Beispiel in einer Sandkiste mit coolen Figuren – auch einer riesigen Katze! Und wir sind rausgegangen und ich hab‘ gecheckt, dass ich ganz gut klarkomme.
Tom: Naja, da war deine Therapeutin wahrscheinlich auch immer dabei, oder?
Mia: Klar, in den Therapiestunden war sie dabei. Aber sie hat mir so viel Mut gegeben und mir gezeigt, was meine Stärken sind und dass ich gar keine Meise habe, sondern mir viele Sachen einfach extrem doll ausgemalt habe in meiner Vorstellung. Meine Familie war ja ständig ausgeflogen und ich allein zu Hause! Und dann wurde die Angst vor Anderen immer kleiner. Jetzt bin ich Klassensprecherin und als das Rotkehlchen Rosalie neu in die Klasse kam, hab ich sie gegen die blöden Jungs verteidigt!
Tom: Heyhey, Jungs sind doch nicht blöd!!!
Mia: Manche schon, aber Mädchen natürlich auch. Irgendwie anders blöd. Aber damit hab ich jetzt echt kein Problem mehr. Ich mache, was ich richtig finde und die Anderen machen ihr Ding. So habe ich richtig viel Spaß. Und auch wenn jemand sagt, ich soll nicht mit so einem Träumerchen wie dir abhängen, mach ich es trotzdem. Ist ja meine Sache, wen ich gut finde und wen nicht.
Tom: Ooooops, jetzt werd‘ ich ein bisschen rot…
Mia: Sieht man dir aber nicht an. Du hast echt die coolsten Flecken auf der Haut, die man haben kann.
Tom: Dann häng ich mich jetzt beim Fliegen an dich dran, wenn du soooo mutig geworden bist!
Mia: Nee, Tom, das lässt du mal schön bleiben! Das wäre nicht mutig, sondern übermütig!
Tom: Oooookaaaaayyyyyy…
Autismus
Tom: Du, Mia, gestern hatten wir Besuch von meinen Verwandten aus Südamerika. Und mein Cousin hat sich so komisch verhalten, mit dem konnte ich gar nichts anfangen.
Mia: Na logisch, der hat sicher nur südamerikanisch gesprochen! Den verstehst du dann ja nicht, das sind für dich doch spanische Dörfer.
Tom: Neenee, Tapire sprechen überall gleich, Frau Schlaumeise. Der war einfach anders… Hat mich kaum angeguckt, war ganz unsicher. Immer hat er die gleichen Dinge wiederholt und dann angefangen mit seinen Hufen zu scharren, obwohl wir Witze erzählt haben. Da konnte er überhaupt nicht drüber lachen! Aber dann beim Zählen all unserer Verwandten wusste er plötzlich super Bescheid und kannte die kleinsten Unterschiede zwischen den verschiedenen Tapiren: Flachland-Tapire und Berg-Tapire und sogar Kabomani-Tapire in Südamerika, mittelamerikanische Tapire und Schabracken-Tapire…
Mia: Whhhattttt??? Kabomani? Schabracken? Da hast du aber richtig gut aufgepasst trotz deiner ADHS, Tom! Stark.
Tom: War kein Problem, hat mich ja interessiert. Aber als ich meinem Cousin gesagt habe, dass ich ihn bewundere, hat er mich gar nicht angeguckt.
Mia: Weißt du, was ich denke? Der könnte sowas wie Autismus haben.
Tom: Aut… hähhh??? Was ist das schon wieder? Die hatten keine Autos dabei.
Mia: Das ist zwar beides griechisch, aber das hattest du in der ersten Klasse natürlich noch nicht. Dieses „Aut…“ bedeutet, dass es um denjenigen selbst geht, also das Auto fährt selbst und beim Autismus hat man es ein bisschen mit seiner eigenen Welt zu tun. Dachte man jedenfalls früher.
Tom: Und jetzt? Was denkt mein Cousin?
Mia: Keine Ahnung. Er könnte es dir wahrscheinlich auch gar nicht gut erklären. Aber ihm sind vielleicht ganz andere Dinge wichtig als dir und mir. Er achtet extrem auf das, was er gut kennt und neue Sachen bereiten ihm großen Stress. Besonders Menschen mit ihren komischen Gefühlen. Die kann er nicht so gut einschätzen.
Tom: Dann kann ich gar nicht mit ihm befreundet sein? Ich fand es eigentlich toll, was der plötzlich alles wusste!
Mia: Jedenfalls wird er bestimmt zurückhaltend sein und es kann lange dauern, bis man mit einem autistischen Kind oder Jugendlichen befreundet ist. Aber du bist ja erst sieben Jahre alt und hast genug Zeit! Vielleicht ist es sowieso besser für ihn, wenn ihr euch über die sozialen Medien kontaktet, wo er doch so weit weg wohnt. Das fällt ihm wahrscheinlich leichter.
Tom: Ach, dann meckern meine Eltern wieder so viel…
Mia: Nicht, wenn es um deinen Cousin geht. Er braucht vielleicht so eine Tupfensocke wie dich, wenn er nicht leicht mit Anderen Freundschaft schließt und ihn kaum jemand versteht.
Tom: Dann kann er doch auch zur Therapie gehen! Hast du mir ja erklärt.
Mia: Ich glaube, bei Autismus kann das ganz schön schwierig werden und lange dauern. Vielleicht ist es ja nur eine Autismusspektrum-Störung und gar nicht so doll ausgeprägt. Dann hilfst du ihm garantiert.
Tom: Das wäre schön. Danke, Mia!
Depression
Tom: Hallo Mia, sag mal, kannst du mir ein bisschen von dem Rotkehlchen Rosalie erzählen? Die ist doch neu in eure Klasse gekommen und ich glaube, ich hab sie am Wochenende mit ihrer Familie gesehen.
Mia: Da hast du aber Glück, weil sie mir ausdrücklich erlaubt hat, mit meinen Freunden über sie zu sprechen – das darf man ja sonst nicht einfach so machen. Datenschutz und so… Sie ist zwar total lieb, aber hat auch ein echt großes Problem.
Tom: Was hat sie denn? Bauchschmerzen? Einen gebrochenen Flügel? Oder braucht sie eine Brille?
Mia: Nein, es ist nichts am Körper, jedenfalls ist ihr Körper nicht krank. Aber ihre Seele um so mehr. Man nennt das Depression. Das erkennst du höchstens daran, dass sie ihre Flügel oft hängen lässt und sich langsamer bewegt, weil sie nicht so fröhlich sein kann.
Tom: Können denn Kinder auch schon depressiv sein? Ich dachte, die sind immer nur ganz kurz traurig und dann springen sie schnell wieder rum, weil sie getröstet wurden!
Mia: Bei Rosalie klappt das scheinbar nicht so gut. Ihre Familie versucht ihr zu helfen, aber sie wird nur selten fröhlich. Schon morgens kommt sie schwer aus den Federn und gruselt sich vor dem neuen Tag, weil sie sich gar nicht vorstellen kann, dass er gut wird. Und dann kommt sie schon völlig fertig zur Schule. Das bemerken die Anderen natürlich und machen sich über sie lustig…
Tom: Was???!!! Die sind ja voll gemein! Denen werde ich es zeigen!!!
Mia: Das hilft ihr leider nicht. Zur Zeit hat sie auch kaum Freunde, weil sie sich so viel zurück zieht. Sie grübelt den ganzen Tag, schafft ihre Aufgaben nicht und lässt niemanden an sich heran. Sie hat meistens keinen richtigen Appetit und traut sich nichts zu. Und abends, obwohl sie total müde ist, kann sie schlecht schlafen und wacht ständig von blöden Albträumen auf.
Tom: Wie kommt das denn alles? Das hat sie doch gar nicht verdient!
Mia: Auf keinen Fall hat sie das verdient, Tom. Aber wenn ich wüsste, woher so eine Depression kommt, würde ich sofort Vogeltherapeutin werden und ihr helfen. Manche denken scheinbar, dass sowas zum Teil angeboren ist, aber die Ellis von Rosalie sind, glaub‘ ich, ganz fit. Mir scheint, sie ist ziemlich sensibel, so ungefähr wie du. Und sie hat im Kindergarten schon heftiges Mobbing erlebt, obwohl sie es allen recht machen wollte. Auch ein bisschen wie bei dir.
Tom: Nur dass ich keine Depression gekriegt habe, sondern höchstens ADHS oder bloß ADS! Du meinst, einfach weil Rosalie lieb zu Kindern war, haben manche sie gemobbt und ausgeschlossen???
Mia: Keine Ahnung. Sowas kommt vor, wenn die Erwachsenen nicht richtig hingucken, wie es den Kids geht. Aber manchmal findet man auch keinen Grund oder die Seele ist einfach sehr, sehr kompliziert. Rosalie würde gern dazugehören und Freunde haben, aber sie traut es sich einfach nicht zu. Sie will auch auf keinen Fall zur Therapie, weil sie Angst vor Frau Adlers Augen hat.
Tom: Vielleicht kann ich sie irgendwie aufmuntern? Ich kann herrliche Seifenblasen mit meinem Stummelrüssel pusten!
Mia: Kannst es probieren, vielleicht klappt es. Aber es kann auch sein, dass Rosalie einige Zeit Tabletten nehmen muss. Die können ihre Stimmung etwas verbessern, damit sie überhaupt mal aus sich raus kommt.
Tom: Aber Tabletten dürfen nur Ärztinnen und Ärzte verschreiben, sagt meine große Schwester.
Mia: Na klar, jedenfalls solche Medikamente. Davor muss sie sowieso erst gut psychologisch und medizinisch untersucht werden. Tabletten helfen ja nur, wenn man genau weiß, was los ist.
Tom: Ich finde das alles ganz schön schwierig. Aber bitte sag Rosalie liebe Grüße von mir! Sie kann sich gern mal auf meinen Rücken setzen und sich ausruhen von dem Stress, wenn sie möchte. Da findet sie auch immer irgendwas zum Aufpicken.
Magersucht
Mia: Hallo Tom, kennst du eigentlich meine große Schwester Madlen?
Tom: Klar, die hab ich schon sehr oft gesehen. Sie besucht uns doch fast jeden Tag und will meinen Bruder Tim besuchen. Ich glaube, Madlen gefällt ihm sehr. Tim ist gerade 17 geworden.
Mia: Das kann ich mir vorstellen. Aber sie ist 15 und denkt, dass sie vielleicht nicht toll genug für ihn aussieht. Deshalb will sie nur noch ganz wenig essen und steigt dreimal am Tag auf die Waage. Sie will so dünn wie irgend möglich sein, damit sie ihm auch wirklich gefällt und er sich genug für sie interessiert.
Tom: Na so ein Quatsch! Sag ihr doch mal, dass Tim extrem verknallt ist und Madlen toll findet, so wie sie ist!
Mia: Das hilft leider überhaupt nicht! Sie hat wahrscheinlich eine Magersucht und will immer noch dünner werden. Sie denkt, dass sie noch viel zu fett ist. Dabei hat sie durch das Hungern schon fast Federgewicht erreicht! Jede Mücke zerlegt sie in ihre Einzelteile und braucht Stunden, um sie herunter zu bekommen. Und abends versucht sie heimlich, alles wieder rauszubringen… Eklig!
Tom: Das ist ja wirklich blöd! Kann man da gar nichts machen?!
Mia: Wir versuchen es ja, ihr alle Aufmerksamkeit zu geben, die sie braucht. Aber nichts hilft. Sie ist wie besessen. Deshalb nennt man es ja auch eine Sucht, eben Magersucht. Sie kann nicht mehr aufhören zu hungern.
Tom: Aber früher hat Madlen noch ganz normal gegessen und sah auch ziemlich gesund aus, fast ein bisschen so rund wie ich…
Mia: Hör auf! Das hat Papa auch zu ihr gesagt, aber seitdem ist alles zu spät. Nein, sie findet, dass sie nicht okay ist und zweifelt auch sonst total an sich, ist mit gar nichts zufrieden und hasst sich selbst.
Tom: Vielleicht ist das mit dem Gewicht gar nicht der richtige Grund? Wenn sie doch so unzufrieden ist wie manche Kids auch? Josephine und Jeremy geht es ja auch so, nur dass sie keine Essstörung bekommen haben, sondern sich nicht mehr in der Schule anstrengen wollen oder total frech geworden sind und ständig nerven.
Mia: Kann sein. Aber so lange sie sich weiter runterhungern will, müssen wir auf jeden Fall den Gewichtsverlust stoppen, sonst wird das super gefährlich! Es kann sein, dass eine ambulante Psychotherapie bei Frau Adler für Madlen gar nicht mehr reichen würde.
Tom: Echt? Ich denke, die hilft gegen alles?
Mia: Wenn es zu schlimm wird, muss vielleicht auch mal jemand in eine Klinik, wo man einige Wochen über Nacht bleibt und die Behandlung noch besser hilft, weil es dort auch Gruppen gibt und andere Therapien, zum Beispiel Ergotherapie und Kunsttherapie, Sporttherapie und Musiktherapie. Manchmal auch Hunde oder Pferde. Und die Familie kommt regelmäßig zu Gesprächen dazu.
Tom: Aber dann wohnt Madlen ja gar nicht zu Hause und kann Tim nicht sehen?
Mia: Das ist ja nur vorüber gehend. Nach der stationären Behandlungszeit macht sie ambulant weiter und lebt wieder zu Hause. Oder sie geht in die Tagesklinik, da kommt sie nachmittags immer zurück.
Tim: Oja, ich würde auch lieber in die Tagesklinik gehen, sonst kann ich abends gar nicht zocken!
Mia: Das mit dem vielen Zocken solltest du dir mal langsam überlegen, sonst wird das vielleicht auch zur Sucht…
Tom: Wieso? Ich hab doch genug Speck auf den Rippen!
Mia: Keine Magersucht, sondern vielleicht eine Spielsucht oder Onlinesucht! Manche trinken auch zu viel Alkohol oder rauchen und kiffen. Das kann alles süchtig machen, wenn man nicht rechtzeitig aufhören kann.
Tom: Nööööö, damit will ich nicht aufhören! Was meinst du, wie viel tolle Spiele es für meine Konsole gibt!
Mia: Du sollst ja nicht gleich aufhören, sondern nur aufpassen! Na, ich helfe dir schon zu erkennen, dass es keine Sucht wird. Bist ja mein kleiner Freund.
Tom: Pah! Im Vergleich zu dir bin ich eigentlich dein großer Freund!
Spielsucht
Tom: Du, Mia, ich muss ständig darüber nachdenken, was du neulich gesagt hast. Wegen des Zockens.
Mia: Ja, was denkst du darüber?
Tom: Ich finde das total blöd.
Mia: Das Zocken?
Tom: Nöööö, dass es eine Sucht werden kann! Ich hab doch einfach nur Spaß am Spielen! Und außerdem treffe ich online jeden Tag meine Freunde. Das ist cool. Immer, wenn ich eine Aufgabe geschafft habe, komme ich ein Level weiter und werde immer besser. Das sagt auch Leroy.
Mia: Wer ist denn Leroy???
Tom: Kennst du nicht. Mit dem spiele ich oft. Und der sagt, dass ich immer dranbleiben soll, um besser zu werden. Außerdem braucht mich ja mein Team, da kann ich nicht einfach mal abschalten, wann es mir passt!
Mia: Siehst du, da machst du dich schon abhängig. Oder Leroy macht dich abhängig. Ist beides mies.
Tom: Das verstehe ich jetzt nicht. Wieso kann etwas, was so viel Spaß macht, mies sein?
Mia: Weil es bei allen Dingen, die wir tun, auf das richtige Maß ankommt, Tom. Magst du Pizza?
Tom: Blöde Frage! Jeder mag Pizza!
Mia: Und wie viele Pizzen würdest du am Stück so verputzen?
Tom: Wahrscheinlich muss ich nach 15 oder 20 Pizzen mal eine kleine Pause einlegen. Und sie müssen natürlich vegetarisch sein, Tapire sind ganz strenge Pflanzenfresser!
Mia: Okay, du Schaf! Ich wollte dir damit sagen, dass auch für junge Tapire irgendwann eine Grenze ist. Zu viel ist einfach ungesund und dann schmeckt es ja auch nicht mehr richtig.
Tom: Du meinst, nach 20 Pizzen sollte ich aufhören zu essen? Bei mir passt bestimmt noch mehr in den Bauch!
Mia: Im Leben geht es nicht darum, wer am meisten bekommt, sondern wer das Beste draus machen kann. Also wer all das am besten genießt und es vielleicht noch teilt – mit seiner Familie und den Freunden.
Tom: Soll ich dir 5 Pizzen abgeben, Mia?
Mia: Ach Tom, was soll eine Meise denn mit 5 Pizzen? Mir reicht schon ein Stückchen Tomate. Ich meine, dass du vielleicht auch zufrieden sein kannst, wenn du jeden Tag nur eine halbe Stunde zockst oder mal eine ganze. Aber Leroy hat ganz sicher keine Ahnung, wie das wirkliche Leben so ist – also offline!
Tom: Hhhhmmm. Justin und Dustin aus der Community haben auch mal erzählt, dass Leroy gar nicht mehr aus dem Haus geht und das Schuljahr deswegen nicht geschafft hat. Er hat sich scheinbar ein Jahr lang nicht mehr gewaschen oder geduscht und nicht richtig seine Fingernägel geschnitten... Seine Eltern wollten ihm mal das Internet sperren, da hat er voll Stress gemacht und randaliert. Sie wollten fast die Polizei holen, aber dann haben sie ihn lieber in Ruhe gelassen. Wahrscheinlich hatten sie Angst vor ihrem eigenen Sohn…
Mia: Vielleicht hat Leroy selber Angst vor sich. Niemand verwüstet sein Zimmer, wenn es ihm gut geht. Das könnte wirklich seine eigene Spielsucht sein, verstehst du? Und um sich dafür nicht so zu schämen, tut er nach außen so, als sei das was Tolles und er versucht Kinder wie dich auch abhängig zu machen. Musst du mal drüber nachdenken, Tom!
Tom: Ich bin ja schon total nachdenklich, Mia. So wie Leroy will ich echt nicht werden. Aber jetzt muss ich los, wir wollen heute aufs nächste Level…
Zwangskrankheit
Tom: Hallo Mia! Darf ich dich mal was Komisches fragen?
Mia: Na klar, Tom. Wir sind befreundet, da darfst du mich alles fragen!
Tom: Das stimmt jetzt echt nicht. Neulich wollte ich dich was über den Affen Albert fragen, da hast du Gänsehaut gekriegt und dich wortlos umgedreht!
Mia: Naja, das ist nun wirklich was Anderes! Von Liebe verstehst du einfach noch nichts, du Milchgesicht!
Tom: Jetzt redest du schon so wie meine Eltern! Dann frage ich dich lieber nicht.
Mia: Doch, mach schon, Tapsi!
Tom: Siehste, du ärgerst mich nur!
Mia: Nein, entschuldige bitte! Aber du machst es extrem spannend. Frag doch einfach!
Tom: Na gut. Wenn jemand immer die gleichen Bewegungen macht und sie hundertmal wiederholt – was bedeutet das?
Mia: Hast du ein Beispiel?
Tom: Na du zum Beispiel! Du springst hundertmal nach einander von einem Bein aufs andere, dann flatterst du zehnmal mit den Flügeln und danach springst du wieder hundertmal auf der Stelle. Wieso?
Mia: Mensch Tom, Vögel machen das so. Dadurch sind sie immer flugbereit und wenn doch mal die Katze kommt, sind wir ganz schnell weg.
Tom: Wenn ich das so machen würde, könnte ich mich warm anziehen.
Mia: Du bist ja ein Tapir und musst nicht blitzschnell reagieren. Aber wenn jemand immer wieder die gleichen Bewegungen macht scheinbar ohne Sinn, kann es auch wieder eine seelische Ursache haben, sagt Frau Adler.
Tom: Was denn für eine?
Mia: Das ist schwer zu sagen, Tom. Aber als ich wegen meiner Angststörung in Therapie war, hatte ich auch eine kurze Phase mit Zwangssymptomen. Das bedeutet, dass man immer die gleichen Dinge tun muss und sie immer wiederholt. Oder dass man immer die gleichen Gedanken hat, von denen man einfach nicht los kommt, obwohl sie totaler Unsinn sind.
Tom: Das klingt ja extrem anstrengend!
Mia: Damit hast du sehr Recht! Man kann sich gegen die Zwänge kaum wehren, obwohl man weiß, wie bescheuert das ist.
Tom: Aber warum macht man es dann überhaupt?
Mia: Man denkt zum Beispiel, dass man nur auf diese Weise ein großes Unglück verhindern kann oder eine Erkrankung. Aber bei mir steckte wahrscheinlich meine Angst dahinter, dass ich etwas Böses machen könnte. Ich wollte ja auf gar keinen Fall so böse sein wie die Kinder, die mich wegen meiner Angst immer so ausgelacht haben. Wie dein Bruder und seine Freunde damals…
Tom: War er wirklich so gemein zu dir? Jetzt findet er dich ziemlich cool und sagt immer, dass du die klügste Meise von ganz Mitteleuropa bist.
Mia: Na, das hilft mir ja echt weiter! Immerhin hat ihn Frau Adler mal in eine Therapiestunde von mir eingeladen. Und da hat er zugegeben, dass er eigentlich nur deshalb über mich lästert, um vor den anderen Jungs cool zu erscheinen. Danach hat das sofort aufgehört. Und ich hatte keine Zwänge mehr. Ich hab gemerkt, dass diejenigen, die Andere dumm machen wollen, meistens nur Schiss haben, selber dumm dazustehen. Sie denken gar nicht daran, wie es den Betroffenen vielleicht geht, sondern kümmern sich nur um ihre eigene Unsicherheit.
Tom: Das klingt ja vielleicht seltsam, Mia…. Meinst du, man verbreitet Angst aus lauter Angst?
Mia: Vielleicht ist das oft so. Ich hatte jedenfalls Angst vor mir selber und musste deshalb einige Zwangssymptome entwickeln. Ich bin damals nicht von einem Bein aufs andere gesprungen, sondern immer vor und zurück. Vor und zurück. Vor und zurück. 50mal auf dem rechten Bein und 50mal auf dem linken. Aber wehe, jemand hat mich rausgebracht! Das hätte mich fast wahnsinnig gemacht, weil ich davon überzeugt war, dass mich die Jungs dann um so mehr mobben. Irre, so eine blöde Angst!
Tom: Ich glaube, ich hab es jetzt kapiert, Mia. Und wenn meine kleine Schwester Tina immer zwinkern muss, ist das auch eine Zwangskrankheit?
Mia: Nein, ich glaube, man nennt das einen Tic. Aber der hat sicher auch mit sehr viel Stress zu tun. Logisch, wenn sie deine kleine Schwester ist, muss sie ja auch gestresst sein… Haha!
Tom: Sehr witzig! Ich liebe meine Schwester Tina!
Mia: Dann vergiss nie, ihr das auch wirklich zu zeigen! Sie wird einen großen Bruder brauchen, der sie beschützt und ihr vieles erklärt.
Trauma
Tom: Ach Mia. Heute Nacht hatte ich einen schlimmen Albtraum, weißt du?
Mia: Oh, das ist nicht schön, hatte ich früher oft. Willst du ihn erzählen?
Tom: Ich weiß nicht recht, kann mich auch gar nicht gut daran erinnern, was da los war. Aber er hat mindestens die ganze Nacht gedauert, dieser blöde Albtraum!
Mia: Das wäre sehr ungewöhnlich, Tom. Meistens kommt es uns nur so vor, als würden die Träume so lange dauern. Aber in Wahrheit träumen wir nur ein paar Minuten, allerdings mehrmals in einer Nacht.
Tom: Also mir kam das vor wie eine Ewigkeit! Es war so ähnlich im Traum wie damals, als ich noch sehr klein war und meine Eltern mich irgendwie bei der Nahrungssuche verloren haben. Plötzlich war ich ganz allein und wusste überhaupt nicht, wo ich bin und was ich tun sollte! Ich hatte schreckliche Angst und hab laut gegrunzt. Aber sie haben mich nicht gehört. Statt dessen kam eine Rotte wilder Hyänen, die fingen an, mich zu beleidigen und zu schubsen.
Mia: Das klingt ja echt grauenvoll! Das ist dir als kleinem Kind passiert??? Warum hast du mir denn noch nie davon erzählt, Tom?
Tom: Ich weiß nicht… Die schlimmsten Sachen aus seinem Leben erzählt man ja nicht besonders gerne, oder du etwa?
Mia: Nein, du hast absolut Recht. Ich würde wahrscheinlich auch niemals jemandem davon erzählen, was mir bei meinem allerersten Date beinah geschehen wäre, wenn mich nicht ausgerechnet der beste Kumpel von deinem Bruder Tim gerettet hätte…
Tom: Du hast auch etwas Schreckliches erlebt?! Warum macht uns das eigentlich sooooo doll fertig, Mia?
Mia: Hhhhmmm. Ich glaube, wir sind dann sehr erschüttert und unser Gehirn denkt vielleicht, dass es eigentlich doch keinen Schutz gibt. So wie gleich nach der Geburt, wenn man sich mühsam aus seinem Ei gepickt hat und sofort kreist ein Habicht über deinem Nest. Die Eltern können ja nicht lange zu Hause bleiben. Wir Vögel müssen ziemlich schnell ganz allein klarkommen und überall lauern Gefahren.
Tom: Das war bei mir nicht wirklich anders. Ich war auch sehr viel allein. Irgendwie merken wir uns das für immer.
Mia: Genau, und wenn dann etwas passiert, was sich ein bisschen ähnlich anfühlt wie damals als Baby, kommt schnell der Schock. Ich glaube, das nennt man Trauma, wenn wir von einer Angst so doll verletzt worden sind, dass es vielleicht nie ganz weg geht. Also eine seelische Verletzung, die in dir drin bleibt.
Tom: Aber ich hatte doch nur einen Traum und kein Trauma! Was soll das jetzt schon wieder?
Mia: Ganz einfach. Im Traum kann unser Gehirn immer wieder versuchen, ein Trauma zu verarbeiten und manchmal hört es dadurch tatsächlich auf. Aber im Schlaf macht das Gehirn die verrücktesten Sachen und probiert irgend welche Eindrücke so mit einander zu verknüpfen, dass es eine Lösung gibt. Meistens passt das alles aber nicht richtig zusammen und ergibt keinen echten Sinn oder es geht nur mit Zauberkraft und so.
Tom: Na das ist doch ganz toll, wenn wenigstens mein Gehirn ein bisschen zaubern kann! Vielleicht geht dann mein Albtraum irgendwann mal gut aus, weil ich mich mit den Hyänen anfreunde und wir zusammen den Weg nach Hause finden. Dann freuen sich meine Eltern und geben den Hyänen was von unserer vegetarischen Pizza ab!
Mia: Tom, du weißt doch, dass Hyänen keine Vegetarier sind!
Tom: Ganz egal, in meinem Traum klappt das schon. Du sagst doch, dass im Gehirn gezaubert werden darf!
Mia: Gut, das gebe ich zu. Deine tolle Phantasie beeindruckt mich wie so oft! Aber bei einem Trauma ist es trotzdem am wichtigsten, damit nicht das ganze Leben lang allein zu bleiben und auf einen guten Zaubertraum zu warten.
Tom: Sondern?
Mia: Na, was tun wir denn hier mit einander, Herr Tapsig? Richtig, wir reden mit einander und haben Vertrauen. Wir sind einfach super gute Freunde, das hilft gegen sehr viele Probleme.
Tom: Und wenn das nicht ausreicht mit den Freunden und der Familie, dann gibt es ja Frau Adler!
Mia: Ja, die ambulante Psychotherapie bei ihr oder ihren Kollegen. Besonders wenn man schon weiß, welches Problem eigentlich da ist. Und wenn alles unklar ist oder die Psychotherapie nicht genug hilft, fragt man den Kinder- und Jugendpsychiater.
Tom: Mia, ich glaub, ich bin jetzt wieder ein Stück schlauer geworden. Danke!
Mia: Bisschen schlauer kann nicht schaden. Ich danke dir auch. Ohne deine vielen Fragen fallen einem Vogel solche Sachen gar nicht ein. Tschüß! Man sieht sich.
Tom: Klar. Mit dir Zeit zu verbringen ist echt besser als mit Leroy beim Zocken. Tschüß!
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