„Funkstille“ heißt das Sommerferienprojekt der Bildungskampagne „Kinder beflügeln“, bei dem Jugendliche aus Berlin auf einer abgelegenen Berghütte in Österreich ausprobieren, wie sich ein Leben ganz ohne Bildschirm anfühlt.
Unter ihnen: der 14-jährige Finn. Seine Erzieher aus seiner Wohngruppe hatten ihm vorher prophezeit, dass er es niemals durchhalten würde – sieben Tage ohne Handy. „Da wollte ich erst recht zeigen, dass ich das kann“, erzählt er rückblickend.
Sechs Jugendliche und drei erwachsene Betreuer*innen verbringen sieben Tage in einer einfachen Holzhütte auf einem Berg bei Treffen, nahe Villach. Es gibt keinen Strom, kein fließendes Wasser außer einem kleinen Brunnen, eine einfache Komposttoilette, gekocht wird auf einem Ofen oder Gaskocher. Die Handys werden eingesammelt und sollen nur im Notfall zum Einsatz kommen. Schon am ersten Abend fällt die Gaslampe aus, und die Gruppe besitzt nur zwei Kerzen und drei Taschenlampen – und trotzdem wird gespielt, geredet, ausprobiert.
Silvia Kemper, Medienpädagogin und Initiatorin des Projekts, berichtet, dass ihr die Idee zur „Funkstille“ kam, nachdem frühere Ferienangebote mit Digital-Workshops gescheitert waren: „Ich habe gemerkt, dass wir Jugendlichen keinen Medienkonsum beibringen müssen – den haben sie ohnehin. Kurzerhand stellte sie das Konzept komplett um: „Vielleicht ist die spannendere Idee nicht, noch mehr Medien zu nutzen, sondern einmal ganz darauf zu verzichten.“
Warum Verzicht wichtig ist
Für Silvia Kemper steht im Mittelpunkt, dass das Handy eine Lücke im Alltag füllt – und dass diese Lücke sichtbar wird, wenn der ständige digitale Begleiter wegfällt: „Erst fühlt es sich schrecklich an. Aber dann entsteht Raum. Raum für Gemeinschaft, Natur und Gespräche. Und auch für Langeweile, vor der man sonst wegläuft.“
Und dieser Raum wird gefüllt: mit Holz hacken, Feuer machen, kochen, schwimmen, Wanderungen zu Wasserfällen, Affenfelsen und Burgen. Die Jugendlichen entscheiden vieles selbst, schlafen sogar eine Nacht draußen unter dem Vordach. „Wir hatten eigentlich gar keine Zeit fürs Handy“, sagt Finn. „Wenn uns langweilig war, haben wir einfach etwas unternommen.“
Ungefiltertes Leben
Konflikte bleiben in einer solchen Woche natürlich nicht aus. Auf engem Raum, ohne Rückzugsmöglichkeiten, prallen Bedürfnisse und Stimmungen unmittelbar aufeinander. Finn merkt an sich selbst, dass er schneller gereizt ist: „Mich haben da viel mehr Sachen genervt als sonst“.
Silvia Kemper ist überzeugt davon, dass gerade diese Differenzen wertvoll sind: „Man kann nicht einfach mit dem Handy in Gruppenchats oder in Social-Media-Kanäle flüchten, um sich so Bestätigung von außen zu holen. Man muss sich der Person gegenüberstellen und sagen, dass man etwas anders sieht. Das ist krass ungefiltertes Leben.“
Der Moment der Rückgabe
Nach sieben Tagen ist die Spannung groß: Wie viele Nachrichten warten auf dem digitalen Begleiter? Finn lacht: „WhatsApp war komplett voll. Aber nach zehn Minuten war das Handy wieder in der Tasche. Dann haben wir Fußball gespielt.“ Das zeigt etwas Entscheidendes: Es geht nicht darum, Handys zu verteufeln – sondern zu zeigen, dass es auch ohne geht.
Was bleibt nach der Funkstille?
Der Effekt hält nicht bei allen ewig – dafür bräuchte es regelmäßige Wiederholungen. Aber etwas Grundsätzliches bleibt, davon ist Silvia überzeugt: „Die Jugendlichen wissen jetzt, dass sie ohne Handy auskommen können. Und sie nehmen Erlebnisse mit, die im digitalen Alltag keinen Platz hätten. Die Erinnerungen bleiben, und die Erfahrung, Konflikte auszuhalten, Mut zu zeigen und sich aufeinander einzulassen, begleitet die Jugendlichen länger als jeder Chatverlauf.
Viele der Jugendlichen wollen im nächsten Jahr wieder dabei sein. Silvia Kemper schmiedet schon die nächsten Pläne. Für die kommenden Jahre schwebt ihr eine Kooperation mit der „Diakonie de la Tour“ vor. Sechs Jugendliche aus Deutschland und sechs aus Österreich sollten sich eigentlich schon 2025 auf der Hütte treffen, doch das scheiterte organisatorisch. Der Wunsch bleibt, denn eine internationale Gruppe würde eine neue Form der Begegnung ermöglichen. Darüber hinaus träumt Silvia Kemper von „Funkstille Extreme“ im Winter 2027: ein Wintercamp mit Feuerwache, Schnee und engstem Zusammenleben, ohne die Möglichkeit, einfach mal hinauszugehen. Finn findet die Idee toll: „Da wäre ich sofort dabei!“
Über die Johannesstift Diakonie Jugendhilfe
Die Johannesstift Diakonie Jugendhilfe gGmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Johannesstift Diakonie gAG mit stationären, teilstationären und ambulanten Angeboten der Hilfen zur Erziehung, Jugendsuchthilfe, Betreuungsangeboten für Mütter und ihre Kinder, der Kindertagesbetreuung, schulbezogener Sozialarbeit an Grund- und Oberschulen sowie Erziehungs- und Familienberatung. Sie beschäftigt circa 500 Mitarbeitende in Berlin, Neubrandenburg, den Landkreisen Oberhavel und Havelland sowie Eisenach.
Über die Kampagne „Kinder beflügeln“
„Kinder beflügeln“ ist die Klammer für eine Vielzahl von Projekten, in denen Kinder aus Berlin und Brandenburg seit 2008 durch besondere Bildungserlebnisse gefördert werden. Die Kampagne erreicht Kinder im Grundschulalter an Berliner Brennpunktschulen, die aufgrund ihrer sozialen Situation Bildungschancen nicht nutzen können. „Kinder beflügeln“ ist die gemeinsame Bildungskampagne der Johannesstift Diakonie und der Stiftung Evangelisches Johannesstift.
Über die Johannesstift Diakonie
Die Johannesstift Diakonie gAG ist das größte konfessionelle Gesundheits- und Sozialunternehmen in der Region Berlin und Nordostdeutschland. Über 11.400 Mitarbeitende leisten moderne Medizin, zugewandte Betreuung und Beratung im Einklang mit den christlich-diakonischen Werten des Unternehmens. Der Träger betreibt Einrichtungen in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Niedersachsen mit einem vielfältigen Angebot in den Bereichen:
- Krankenhäuser und ambulante Versorgungszentren
- Pflege- und Wohneinrichtungen sowie Hospize
- Behindertenhilfe
- Kinder-, Jugend- und Familienhilfe
- Arbeit, Beschäftigung und Soziales
- Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege sowie Ergotherapie
- Dienstleistungen für Gesundheits- und Sozialeinrichtungen





Facebook
Instagram
YouTube
LinkedIn
Xing