Die Johannesstift Diakonie Jugendhilfe hat erneut erfolgreich die Zertifizierung der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) erhalten. Als eine Gruppe von Mitarbeitenden Anfang März die Auditoren begrüßte, wehte ein lauer Frühlingswind durch die Straßen. Einige Wochen später war das positive Ergebnis dann da. Darüber, was GWÖ eigentlich für ein Unternehmen bedeutet, spricht Daniela Brede im Interview.
Liebe Frau Brede, was genau ist Gemeinwohl-Ökonomie und was bedeutet das im Zusammenhang mit einem sozialen Unternehmen?
Daniela Brede: Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine internationale Bewegung mit dem Ziel eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems, in dem Mensch und Umwelt im Fokus stehen und nicht der Profit. Die Jugendhilfe folgt der GWÖ schon seit zehn Jahren, 2021 haben wir dann die erste Zertifizierung erlangt, die wir jetzt erneuern konnten. Während der Zertifizierung wird immer geschaut, inwieweit wir als Unternehmen die Werte Menschlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung in unserem Handeln berücksichtigen. Von 1.000 möglichen Punkten haben wir 2021 370 und jetzt 404 bekommen – damit liegen wir im oberen fortgeschrittenen Bereich. Greenpeace liegt bei 653 Punkten.
Was bedeutet die GWÖ-Ausrichtung für den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden?
Bei uns trifft sich seit 2019 regelmäßig eine GWÖ-Arbeitsgruppe mit Mitarbeitenden verschiedener Berufe und Positionen. Entstanden sind so eine Menge Projekte, die im Arbeitsalltag mitgetragen werden müssen. Die Projekte beziehen sich einerseits auf die ökologische Nachhaltigkeit wie Upcycling in Kitas und Horten, der Einsatz von nachhaltigen Reinigungsprodukten, Diensträdern, Recyclingpapier, Ökostrom, Hybridfahrzeugen und vielem mehr. Entscheidend ist bei uns aber auch die soziale Nachhaltigkeit nach innen: Dezentralisierung von Verantwortung, agile Strukturen, transparente Zusammenarbeit und Mitbestimmung bei der Wahl von Vorgesetzten sind nur einige Beispiele. Extern achten wir bei der Wahl von Geschäftspartner*innen auch auf faire Arbeitsbedingungen.
Welche Chancen birgt eine Zertifizierung für ein Unternehmen wie die Jugendhilfe?
Nachhaltigkeit bedeutet für uns, unsere Bedürfnisse heute so zu erfüllen, dass auch künftige Generationen all das haben, was sie benötigen. Denn in unserer Arbeit geht es ja vom Kern her um die Zukunft von Kindern und Jugendlichen. Deshalb ist die Gemeinwohl-Ökonomie für die Jugendhilfe auch ein guter Weg für eine konsequente Organisationsentwicklung. Die externe GWÖ-Bewertung hat uns in der Sichtweise auch nochmal bestärkt. Jeder Punkt, den wir erreicht haben, ist ein Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigeren und verantwortungsvolleren Zukunft für die gesamte Gesellschaft.
Welches Feedback gibt es zum Thema Gemeinwohl-Ökonomie aus der Mitarbeiterschaft?
Es gibt viele Mitarbeitende, die das Thema unermüdlich unterstützen. Ohne deren Engagement und Hingabe wäre dieser Erfolg nicht möglich. Aber natürlich gibt es auch unterschiedliche Stimmen. Wir bemühen uns, alle Mitarbeiter*innen sowie Betreuten in unseren Prozess einzubeziehen. Dabei ist es uns wichtig, dass sich Veränderungen nicht wie ein Verzicht anfühlen, sondern vielmehr als Chance zur positiven Weiterentwicklung.
Wie hat sich die Jugendhilfe für den Audit vorbereitet und wie läuft es ab?
Vorneweg: es war nicht einfach. Die Vorbereitungen haben Monate gedauert. 163 Seiten umfasst der Bericht, auf deren Grundlage überprüft wird. Die Prüfenden durchleuchteten am Audit-Tag dann jeden Winkel unseres Unternehmens, um sicherzustellen, dass wir den hohen Standards der GWÖ entsprechen: Von den Büros über die Einrichtungen bis zu den Lieferketten – alles haben sie im Blick. Sie sprachen mit Mitarbeitenden, befragten Lieferant*innen und überprüften unsere Zahlen. Doch das Herzstück des Audits war ihre Mitarbeiterbefragung zu verschiedenen Themen der GWÖ. Ihre Stimmen waren entscheidend, um sicherzustellen, dass wir unseren Grundsätzen wirklich treu sind.
Wie haben Sie Ihr Ergebnis aufgenommen?
Wir waren wirklich begeistert. Unser Ergebnis markiert eine bedeutende Steigerung zu 2021 durch kontinuierliche Verbesserungen und die fortlaufende Überprüfung unserer Arbeitsweise. Gleichzeitig ist uns aber bewusst, dass es immer Möglichkeiten gibt, uns weiter zu verbessern.
Was sind die Projekte der Zukunft?
Unsere Projekte der Zukunft sind auch die unserer Vergangenheit. Wir wollen vor allem bestehendes wie unsere Kleiderkammer, den GWÖ-Kalender oder viele andere kleine Projekte nachhalten. Aber natürlich werden wir auch wieder ein bis zwei Schwerpunktthemen für die nächsten Jahre festlegen.
Was braucht ein Unternehmen, wenn es sich der GWÖ anschließen möchte?
1. Engagement der Unternehmensführung – die Geschäftsleitung muss sich aktiv für die GWÖ engagieren und die erforderlichen Veränderungen vorantreiben.
2. Bereitschaft zur Transparenz – Unternehmen müssen offen dafür sein, Geschäftspraktiken und Entscheidungsprozesse zu Finanzen, Mitarbeiterbeziehungen, Lieferketten und Umweltauswirkungen transparent zu gestalten.
3. Einbindung der Mitarbeitenden – die Mitarbeitenden müssen aktiv mitgestalten, ohne ihre Unterstützung geht es nicht.
4. Ganzheitliche Bewertung – Unternehmen müssen bereit sein, ihre Leistung anhand ganzheitlicher Kriterien zu bewerten, so dass auch Auswirkungen auf das Gemeinwohl, die Umwelt und die Arbeitsbedingungen deutlich werden.
5. Kontinuierliche Verbesserung – Unternehmen müssen es bejahen, sich ständig weiterzuentwickeln und ihre Praktiken im Einklang mit den Prinzipien der GWÖ anzupassen.
6. Zusammenarbeit mit anderen GWÖ-Unternehmen, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen.
7. Langfristige Perspektive – Unternehmen müssen bereit sein, langfristige Ziele zu verfolgen, die über kurzfristige Gewinnmaximierung hinausgehen.
Liebe Frau Brede, vielen Dank für das Interview.
Über die Johannesstift Diakonie Jugendhilfe
Die Johannesstift Diakonie Jugendhilfe gGmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Johannesstift Diakonie gAG mit stationären, teilstationären und ambulanten Angeboten der Hilfen zur Erziehung, Jugendsuchthilfe, Betreuungsangeboten für Mütter und ihre Kinder, der Kindertagesbetreuung, schulbezogener Sozialarbeit an Grund- und Oberschulen sowie Erziehungs- und Familienberatung. Sie beschäftigt circa 500 Mitarbeitende in Berlin, Neubrandenburg, den Landkreisen Oberhavel und Havelland sowie Eisenach.
Über die Johannesstift Diakonie
Die Johannesstift Diakonie gAG ist das größte konfessionelle Gesundheits- und Sozialunternehmen in der Region Berlin und Nordostdeutschland. Über 11.400 Mitarbeitende leisten moderne Medizin, zugewandte Betreuung und Beratung im Einklang mit den christlich-diakonischen Werten des Unternehmens. Der Träger betreibt Einrichtungen in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Niedersachsen mit einem vielfältigen Angebot in den Bereichen:
- Krankenhäuser und ambulante Versorgungszentren
- Pflege- und Wohneinrichtungen sowie Hospize
- Behindertenhilfe
- Kinder-, Jugend- und Familienhilfe
- Arbeit, Beschäftigung und Soziales
- Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege sowie Ergotherapie
- Dienstleistungen für Gesundheits- und Sozialeinrichtungen